Samstag, 9. März 2024

"Frühe Förderung" - erfolgreiches Pilotprojekt

 Bildung

In Aegerten und Studen wird die «Frühe Förderung» getestet

Die Gemeinden Aegerten und Studen haben als ländlichen Pilotversuch im Kanton Bern eine Fachstelle «Frühe Förderung» aufgebaut. Wie sieht die Zwischenbilanz aus?
Christine Rawyler (links) und Corinne Weilenmann engagieren sich für einen gelungenen Start in die Schulzeit. Quelle: Anne-Camille Vaucher / BIeler Tagblatt-Ajour

Markus Dähler         Publiziert: 02.03.2024, 18:01 Uhr

Die Gemeinden Aegerten und Studen erproben seit bald zwei Jahren, ob und wie eine Fachstelle «Frühe Förderung» auf dem Land und in der Agglomeration funktioniert. Die Idee: Alle Eltern mit Kindern vor dem Eintritt in den Kindergarten werden nach ihren individuellen Bedürfnissen unterstützt.

Für die einen ist es die Hilfe bei der Suche nach Spielgruppen- oder Kita-Plätzen. Andere möchten die Sozialkontakte ihrer Kinder fördern und die Lehrpersonen erhoffen sich damit verbesserte Schulsprach- und Sozialkompetenzen für alle beim Eintritt in den Kindergarten.

Die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons Bern unterstützt das Pilotprojekt finanziell und erhofft sich Impulse für die Vernetzung und die künftige Förderung weiterer Projekte im ganzen Kanton.

Für den Aufbau der entsprechenden Fachstelle hat die Gemeinde Aegerten in Corinne Weilenmann als Fachperson Betreuung Kinder eine Pionierin mit optimalem Rüstzeug gewonnen.

 Stark veränderte Bedürfnisse

Die Spiel- und Waldspielgruppenleiterin mit viel Erfahrung auch in der Tagesschule und Integrationsarbeit im «Elki-Sprachkurs» für Eltern gemeinsam mit ihren Kindern in Studen kennt die lokale Situation.

Sie hat die veränderten Bedürfnisse aufgrund des rasanten Wachstums der Gemeinden hautnah mitverfolgt. «Wir haben heute auch viele Familien mit schulpflichtigen und kleinen Kindern, die aus der Romandie nach Aegerten nahe der Sprachgrenze gezogen sind.»

Wie alle anderen Neuzuziehenden spricht Weilenmann sie persönlich an und bietet ihre Unterstützung bei den Kontakten zu frühkindlichen Förder- und Betreuungsangeboten an. Dann hilft sie auf Wunsch mit Beratung oder bei der Administration der Betreuungsgutscheine KiBon und beim Zugang zu weiteren Unterstützungsangeboten. In diesen Tagen motiviert sie zudem gezielt fremdsprachige Eltern zum Besuch des nächsten «Elki-Sprachkurses».

Quelle: Anne-Camille Vaucher

Weilenmann, die sich gerade zur Integrationsfachperson weiterbildet, kennt die Wichtigkeit der Sprachkompetenz sowohl in der Mutter- als auch in der künftigen Schulsprache. «Für die Kinder ist die Muttersprache eine unverzichtbare Voraussetzung auch für die soziale Kommunikation in der Familie», sagt sie.

Aber zur Schulreife gehöre auch der Austausch mit Gleichaltrigen, am besten in der künftigen Schulsprache, ist Weilenmann überzeugt. Als Mutter hat sie selbst erfahren, welche Herausforderung der Schulstart als Ablösung aus der familieninternen Betreuung bedeutet.

«Am Anfang geschwommen»

In der Aegerter Gemeindepräsidentin Christine Rawyler hat Weilenmann und das ganze Projekt eine überzeugte Mentorin. Als Rawyler vor vier Jahren im Gemeinderat das Ressort Bildung und Soziales übernahm, hatte sie kaum Vorstellungen, was sich da entwickeln könnte.

Die Lehrpersonen haben sich auf der Suche nach Lösungen bei der sprachlichen Integration der zunehmenden Anzahl fremdsprachiger Kinder an sie gewandt. Und der Elternverein erhoffte sich Unterstützung durch Vergünstigung der Spielgruppen-Kosten in Studen und Aegerten.

«Am Anfang war es für mich ein riesiges Schwimmen in all den Informationen, Angeboten, Wünschen und Herausforderungen», sagt sie. Als sie im Sommer 2021 während dreier Wochen bei Regenwetter und aufgrund von Pandemieeinschränkungen zu Hause bleiben musste, hatte sie Zeit.

Sie besorgte sich viele verfügbare Statistiken und analysierte diese. Dabei verglich sie globale mit lokalen Daten und sah das Potenzial und die Defizite in der ländlichen Förderung und Unterstützung von Kindern im Vorschulalter und deren Eltern.

Es gab auch Kritik

Zusammen mit den Sozial- und Bildungsverantwortlichen in Aegerten und Studen initiierte Rawyler das Pilotprojekt bei der GSI und stiess auf offene Ohren.

Im kantonalen «Familienbericht 2021» des Bernischen Grossen Rates sind Ziele und Inhalte der frühkindlichen Förderung definiert. «Die Gemeinden Aegerten und Studen haben dies erkannt, das Vorgehen kann eine Signalwirkung für andere Gemeinden haben», ist Gundekar Giebel von der GSI überzeugt.

Die vernetzte Fachstelle kenne alle Akteure und Angebote und könne damit die Schwelle für die konkrete Zusammenarbeit zum Nutzen der Kinder senken.

Bei der Verankerung der Mitfinanzierung der Elternbeiträge für die Spielgruppe und der Fachstelle gab es an der letzten Aegerter Gemeindeversammlung auch Kritik bezüglich der Wirksamkeit der Investition.

«Aber das Echo aus der Bevölkerung ist nach anfänglicher Zurückhaltung heute durchaus positiv», sagt Christine Rawyler.

Dem kann ihr Studener Amtskollege Heinz Lanz zustimmen. «Ich bin ja bekannt dafür, dass ich neue Ausgaben nüchtern auf ihre Zweckmässigkeit analysiere», begründet er seine ursprüngliche Zurückhaltung. Heute sei er aber überzeugt, dass sich jeder investierte Franken in die «Frühe Förderung» lohne und die Investition später ein Mehrfaches an Einsparung erzeuge. Das freut Rawyler wie Weilenmann ganz besonders.

Mit dem Kindergarteneintritt im nächsten Sommer erhoffen sich alle Beteiligten, dass sie anschliessend bei der Evaluation den Wert der Pionierarbeit nachweisen und dokumentieren können.