Aegerten kündigte an, sein Kabelnetz zu verkaufen und stiess damit
viele vor den Kopf. An einem Infoanlass hat sich die Gemeinde nun den
kritischen Fragen gestellt.
Mengia Spahr Ajour Bieler Tagblatt Publiziert: 26.
Mai 2024, 08:19 Uhr
Im Mehrzweckgebäude in Aegerten waren am Donnerstagabend
fast alle 84 Stühle im Publikum besetzt. Das zeugt von einem grossen Interesse
– für eine schwer zugängliche Materie. Die nächsten zwei Stunden ging es um
Rohre und eine sogenannte Kupferkoaxialtechnik.
Unter Aegerten verläuft ein Netz aus Kabeln, welche die
Fernseher, das Internet und die Festnetztelefone der Einwohnerinnen und
Einwohner speisen. Am 10. Juni stimmt die Gemeindeversammlung darüber ab, ob
die Gemeinde ebendieses Netz an eine Firma aus dem zürcherischen Schlieren
verkauft.
Dass ein solches Geschäft so zu mobilisieren und Emotionen
hervorrufen vermag, liegt unter anderem an einer ungeschickten Kommunikation
seitens der Gemeinde.
Zuerst falsch informiert
Seit über 20 Jahren betreibt die gemeindeeigene
Energieversorgung Aegerten (EVA) die Ortsantennenanlage und versorgt das Dorf
mit Strom. Doch in den letzten Monaten hat Aegerten gewisse Aufgaben
ausgegliedert. Seit Anfang Jahr kümmert sich die Energie Seeland AG um den
Betrieb der EVA. Und im März informierte die Gemeinde darüber,
dass die Ortsantenne an die GIB-Solutions aus Schlieren verkauft werden soll.
Diese wolle darin ein Glasfasernetz installieren und die Gemeinde mit Signalen
versorgen.
Mit der Publikation im «Nidauer Anzeiger» stiess der
Gemeinderat Bürger und eine Partnerin vor den Kopf. Zum einen
sind da die Verantwortlichen der Gemeinschaftsantennen-Anlage Grenchen. Die GAG
versorgt in Aegerten mehrere 100 Kundinnen und Kunden. Der Gemeinderat schrieb,
dass «die heutige GAG-Kundschaft zum neuen Provider überführt» werde. Eine Information,
die schlicht falsch war, weshalb die GAG eine Richtigstellung verlangte.
Zum anderen haben zwei ehemalige Geschäftsleitungsmitglieder
der Energieversorgung Aegerten das Referendum gegen den Verkauf ergriffen.
Innerhalb kürzester Zeit hatten sie die nötigen Unterschriften gesammelt.
Antworten auf offene Fragen
Vielleicht hat die eine oder der andere auch unterschrieben,
weil so vieles unklar war: Wieso soll das Kabelnetz an einen Anbieter aus
Schlieren verkauft werden und nicht an einen lokalen? Ist es der richtige
Partner? Macht Aegerten ein gutes Geschäft?
Der Gemeinderat hat erkannt, dass er die Bevölkerung mit
diesen Fragen nicht allein lassen kann. Fast der gesamte Gemeinderat, Vertreter
der GIB-Solutions, der Swisscom und der GAG, ein Netzwerkberater und die
Geschäftsleitung der EVA sassen am Donnerstag dem Publikum gegenüber. Über ein
Dutzend Auskunftspersonen.
Gemeindepräsidentin Christine Rawyler (SP) räumte gleich zu
Beginn ein, dass man mit der – schwer verständlichen – Publikation im
«Anzeiger» «nicht den idealen Weg gewählt habe, um eine solch komplexe Sache zu
kommunizieren».
Glasfaser kommt bestimmt
Der zuständige Gemeinderat Urs Roth (OVA) sitzt zwar erst
seit Anfang Jahr in der Exekutive, aber er hat die Vergangenheit aufgearbeitet,
um den Anwesenden den Entscheid des Gemeinderats zu erklären. Wie er sagte, ist
es nur eine Frage der Zeit, bis das alte Koaxkabel durch ein Glasfasernetz
ersetzt wird.
Gemeinderat Urs Roth, flankiert von Mitgliedern des
Gemeinderats und Experten, erklärte, wie die Verkaufspläne zustande kamen. Quelle:
Mengia Spahr
Auch im Publikum sassen Leute, welche die neue Technologie
kaum erwarten können. Etwa ein Aegerter, der im Homeoffice arbeitet und bei
Videokonferenzen regelmässig Verbindungsprobleme hat.
Vor einigen Jahren wollte die Gemeinde selbst ein
Glasfasernetz ausbauen, doch vor einem Jahr wurde das Projekt begraben.
Aegerten könne sich das nicht leisten, so Roth. Laut ihm hatte die Gemeinde
also noch zwei Optionen. Erste Option: Sie unternimmt nichts und die Swisscom
wird das Glasfasernetz in den eigenen Rohren ausbauen. Und die zweite: Aegerten
verkauft seine Kabel.
Weil Roth zufolge nur die zweite Option für die Gemeinde
profitabel ist, suchte sie einen Käufer – und fand mit der GIB-Solutions einen
Interessenten. Aber wieso eine Zürcher Firma, zumal es solche
Dienstleister in der Region gibt? Das ist eine Frage, die gleich mehrere
Anwesende beschäftigte.
Roth stellte klar, dass man Firmen aus der Region angefragt
habe, diese aber kein Interesse hatten. «Es ist nicht so, dass wir zehn
Interessenten hatten, aber ein guter reicht.»
Swisscom mit an Bord
Und ein solcher sei die GIB-Solutions. Gemäss dem
Vertragsentwurf verpflichtet sie sich zu Folgendem: Bis Ende 2028 muss der
Ausbau des Glasfasernetzes erfolgt sein. Und dieses muss diskriminierungsfrei
sei. Will heissen: Jeder Provider soll darauf seine Dienste anbieten können –
egal ob GAG, Salt oder Sunrise. Ausserdem habe die Gemeinde ausgehandelt, dass
die Hauseigentümer nichts für die Anschlüsse bezahlen müssen, einzig, wer noch
gar keinen Anschluss hat, muss selbst dafür aufkommen.
Insgesamt sollen vier Glasfasern verlegt und dann die alten
Kabel zurückgebaut werden. Dafür hat die GIB-Solutions die Swisscom ins Boot
geholt. Der Vertrag sei bereits aufgesetzt: Stimmt die Gemeindeversammlung dem
Verkauf zu, so werden GIB-Solutions und Swisscom den Ausbau partnerschaftlich
realisieren und die Strasse wird nur einmal aufgerissen.
Niemand müsse den Anbieter wechseln
Die Ausführungen der Gemeinde und der Involvierten glätteten
gerunzelte Stirnen im Publikum. Doch es gab immer noch einige Unsicherheiten.
Es galt etwa zu klären, was Aegerten genau verkaufen will:
Die Rohre? Die alten Koaxkabel? Eine Antenne? Oder irgendwelche Signale?
Es sind die alten Kupferkabel, wie Roth klarstellte, sowie
ein bereits bestehendes Glasfasernetz. Die Rohre und Schächte, durch die auch
die elektrische Versorgung läuft, bleiben im Eigentum der Gemeinde. Aber die
GIB-Solutions wird sie gegen eine Entschädigung nutzen dürfen. Die Gemeinde
gewährt der Firma das Nutzungsrecht für vorerst 32 Jahre, wobei die Möglichkeit
von einer Verlängerung um weitere 30 Jahre besteht. Insgesamt werde die
GIB-Solutions rund 520 000 Franken bezahlen, sagte Roth.
Volle Stuhlreihen am Infoanlass zum Verkauf des Kabelnetzes. Quelle: Mengia Spahr
Eine weitere Sorge betraf die Frage nach den
Telekomanbietern. Er sei bei der GAG, sagte ein Anwesender und sehr zufrieden
mit der Dienstleistung. «Was ist, wenn ich am Freitagnachmittag ein Problem mit
dem Modem habe? Muss ich künftig nach Zürich fahren, statt nach Grenchen?»
Roger Peter von der GIB-Solutions beruhigte ihn: «Wir
transportieren nur das Signal.» Niemand werde den Anbieter wechseln müssen. Die
Provider müssen einfach die Bedingungen neu aushandeln mit GIB-Solutions. Urs
Roth wies darauf hin, dass für die Kunden der GAG eine vierjährige
Übergangsfrist gelte: In dieser Zeit dürfe der Grundpreis nicht erhöht werden.
Es schien tatsächlich, als konnten an diesem Abend fast alle
Fragen beantwortet werden. Mit einer letzten Wortmeldung bedankte sich jemand
für die Veranstaltung. Der Gemeinderat war sichtlich erleichtert.
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